Sonntag, 10. Januar 2016

Digital Manifest: Diktatur der Algorithmen?

Was soll die grosse Aufregung um Big Data? So lange ich nichts Aussergewöhnliches anstelle, gehe ich in der grossen Masse unter. So mag man denken. Doch das ist falsch! Wir laufen Gefahr, uns unsere Entscheidungen von Algorithmen diktieren zu lassen. Unternehmen wir nichts, droht eine Diktatur der Algorithmen. Dieses düstere Bild zeichnet das Digital Manifest von neun Europäischen Experten. Sie zeigen eine Strategie auf, wie man Freiheit und Demokratie auch im digitalen Zeitalter sichern kann.



Von Big Data zu Big Nudging

Sucht man bei Google auf dem Smartphone oder dem Laptop nach den gleichen Begriffen, können sich die Suchresultate unterscheiden. Dies ist kein Fehler von Google, sondern volle Absicht. Aus der grossen Flut von Suchresultaten wählt Google mit einem Algorithmus jene aus, die einen am meisten interessieren könnten. Und dieses Interesse scheint, wenn man am Smartphone sucht, nicht das gleiche zu sein, wie wenn man die gleiche Suche am Laptop tätigt. Google beurteilt das individuelle Interesse aufgrund der Daten die das Unternehmen über einen gesammelt hat. Daraus hat es Persönlichkeitsprofile von einem erstellt, aufgrund derer es einem die – vermeintlich priorisierten – Informationen präsentiert.

Mit anderen Worten: Google nimmt sehr direkten Einfluss auf unsere Wahrnehmung der Umwelt. Fälle man aufgrund derart aggregierter Informationen, so ist man dabei unter anderem – ohne dessen bewusst zu sein - auch abhängig von Algorithmen, die bei Google entwickelt worden sind.
Im Extrem-Fall könnte Google unsere Entscheidung derart stark beeinflussen, das man nicht mehr von freiem Wille sprechen kann. Das Unternehmen würde uns mit einem raffinierten Algorithmus sozusagen zu einer Entscheidung drängen oder wenigstens anschubsen. Ein solches Anschubsen zu einer Entscheidung wird «Nudging» genannt.
Wenn Behörden ihre Bürgerinnen und Bürger zu einem bestimmten Verhalten schubsen, mag das problematisch sein. Wenn es aber Unternehmen mit Algorithmen tun, droht die Automatisierung der Gesellschaft und damit verbunden eine Verlust der des freien Willens.
Dieses Szenario zeichnen neun Europäische Experten in ihrem «Digital Manifest», das sie in der Januar-Nummer der Zeitschrift «Spektrum derWissenschaft» lancieren. Ihrer Meinung nach droht «Big Nudging» als direkte Konsequenz von "Big Data".


Freiheit und Demokratie in Gefahr

Solche Methoden, die erst durch Big Data ermöglicht werden, stellen die Gesellschaft vor ganz neue Herausforderungen. Die Autorin und die Autoren des Manifests wähnen die Menschheit an einem Scheideweg. Wenn wir jetzt die geeigneten Schritte unternähmen, böte uns die Digitalisierung die Chance auf eine Demokratie 2.0. Andernfalls drohe Feudalismus 2.0; eine Gesellschaft von ferngesteuerten, digitalen Sklaven, die ihre Selbstbestimmung aufgegeben hätten und nach dem Kommando von gewinnorientierten Firmen aus dem Silicon Valley handelten.

Einen der Grundsteine für eine mögliche Fehlentwicklung orten die Experten bei der personalisierten Information. Diese verunmögliche uns autonome Entscheidungen, indem sie eine «Filter Bubble» um uns herum baue -  eine Art digitales Gedankengefängnis, aus dem man kaum mehr ausbrechen könne. Dies bewirke eine Zersetzung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, weil sich die Menschheit in immer mehr in sich geschlossene Splittergruppen fragmentiere, die untereinander keine gemeinsame Sprache mehr hätten. Es drohe ein Verlust der Soziodiversität.

Konsequenzen

Um einer derartigen Entwicklung entgegenzuwirken, bedürfe es jetzt geeigneter Massnahmen, fordern die Expertin und die Experten im "Digital Manifest". Zentraler Begriff in den Forderungen ist die "kollektive Intelligenz", die es unbedingt zu erhalten und auszubauen gelte. Wichtige Hilfsmittel dazu seien Citizen Science, Crowd Sourcing und Online-Diskussionsplattformen. Es brauche eine "digitale Aufklärung".

Konkret fordert die Gruppe, der auch drei ETH-Professoren angehören, dass transparente Organisationen geschaffen werden, die für die Sammlung von persönlichen Daten als Treuhänderinnen fungierten. Die Nutzerinnen und Nutzer sollen selber darüber entscheiden können, welche über sie gesammelten Daten zur Auswertung freigegeben werden und welche nicht. Damit diese Regeln auch eingehalten werden, fordert die Gruppe nicht nur neue Gesetze, sondern auch eine "Art hippokratischen Eid für IT-Experten", nach dem es verwerflich ist, heimlich gesammelte Daten über Personen kommerziell oder politisch zu verwerten.

Speziell für die Bildung fordert die Gruppe, dass Kinder und Jugendliche zu kritischem Denken, Kreativität und Erfindergeist angeregt werden sollen. Die Ausbildung müsse einen "verantwortungsvollen und kritischen Umgang mit digitalen Technologien vermitteln".

Das digitale Zeitalter berge zwar Gefahren. Es böte sich aber auch die grosse Chance, die Demokratie zu verbessern und globale Probleme mit einer aufgeschlossenen und partizipativen Zivilgesellschaft zu lösen.

Das ganze "Digital-Manifest" mit Zusatzartikeln gibt es hier:


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